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Prof. Dr. med. Matthias Schrappe
20.03.2014: Der explodierende Wal Vortrag am AKH Wien, St. Vinzenz Gruppe und Wirtschaftsuniversität Wien: Fehler und unerwünschte Ereignisse im Gesundheitswesen, wieviel Todesfälle, überall die gleichen Fragen: trauen wir unseren Zahlen? Am Abend vorher in der litcologne bei Heinrich Steinfest, also zwei sehr österreichische Tage. Steinfest las aus seinem neuen Buch “Der Allesforscher”, der mit diesem explodierenden Wal beginnt. Was das miteinander zu tun hat? Nun, die Patientensicherheits- ”Bewegung”, wenn man sie so nennen darf, hat ja mehrere Dinge vollbracht. Das Wichtigste vielleicht: das Undenkbare, das Unmögliche besprechbar machen, dass man vom explodierenden Wal getroffen wird - kommt ja auch nicht alle Tage vor. Fehlerkette analysieren, Handlungsoptionen eröffnen, wo früher nur das Entsetzen (und das Wegschauen) möglich war. Halt tauchen und den baumelnden Kopf des ertrinkenden Erpels schauen (das war jetzt wieder Steinfest). Das Zweite: die Einstellung ändern, nicht zwei Nächte hintereinander durcharbeiten und dann noch meinen, alles wäre ok. Das Dritte: die Zahlen kennen, der eigenen wissenschaftlichen knowledge base glauben, ohne die es weder im Management noch in der Politik vorangehen kann. Hier zum Download des Vortrags, und hier die Webadressen für die drei Veröffentlichungen, die das Aktionsbündnis Patientensicherheit über die Metaanalysen zur Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen gemacht hat: Agenda Patientensicherheit 2006  Agenda Patientensicherheit 2007 Agenda Patientensicherheit 2008  Die Aktualisierung im APS-Weißbuch Patientensicherheit (2018) findet sich hier. 19.02.2014: Choosing Wisely! In seinem Gutachten aus dem Jahr 2001, lang ist’s her, hat der Sachverständigenrat Gesundheit die Thematik der “Über-, Unter- und Fehlversorgung” aufgegriffen (für die Freunde historischer Links, hier ist er). Die Anführungszeichen sollen dabei nur die Eigenschaft des geflügelten Wortes unterlegen und nicht etwa Distanzierung ausdrücken. Denn viel ist darüber gesprochen worden - wobei meist die Unterversorgung im Vordergrund stand (”nicht genug von ...”), manchmal auch die Fehlversorgung (z.B. Patientensicherheit). Aber die Überversorgung, da herrscht meist Ruhe im Wald, an die Zahl unserer Herzkatherplätze will doch niemand so richtig ran. In den USA heißt das ganze Over-, Under- and Misuse, in der Qualitätssystematik übrigens ein Begriffstriumvirat, das eine echte Konkurrenz zu Donebedian (Ergebnis, Prozess ...) hergibt. Aber das nur am Rande, denn in den USA gibt es seit 2012 eine veritable Kampagne gegen die Überversorgung: Choosing Wisely. Es geht gegen Verschwendung, nennen wir es beim Namen ... aber das ist nicht alles: unnötige Therapien verursachen unnötige “Nebenwirkungen”, unnötige Diagnostik unnötige Folge-Diagnostik, oft mit falsch positiven Ergebnissen und noch mehr Diagnostik und vielleicht auch nicht indizierten Therapiekonsequenzen. Also nicht nur Verschwendung, Überversorgung ist potentielle Schädigung - das geht doch immer wieder unter. Im Jahr 2012 hat man in den USA einen Systematischen Review zum Thema Überversorgung angefertigt (Korenstein et al. Arch. Intern. Med. 172, 2012, 171), und man hat gerade 172 Studien zum Thema gefunden (ausgehend von knapp 115.000 geprüften Veröffentlichungen!), ein Befund, der den Archives-Herausgeber M. Katz zum wohl kürzesten Editorial der Geschichte veranlasste: 8,5 Zeilen, überschrieben: Where are the Data? Da kann man wohl zustimmen. Es entwickelte sich daraus eine Kampagne in den USA, wie gesagt unter dem schönen Namen Choosing Wisely, an der heute über 50 Fachgesellschaften teilnehmen (Webseite: www.choosingwisely.org). Jeder die Fachgesellschaften hat (mindestens) 5 Punkte entwickelt, bei denen man bzw. die Ärzte nochmals innehalten sollten, bevor man verschreibt oder empfiehlt, bei denen also Überversorgung droht. Die berühmte American Society for Oncology zum Beispiel mit der Empfehlung, bei Patienten mit schlechtem Allgemeinzustand und ausbleibendem Ansprechen auf eine vorangegangene Evidenz-basierte Therapie KEINE Chemotherapie mehr zu geben. Oder die American Academy of Pediatrics mit dem Hinweis, bei offensichtlich viralen Erkrankungen der Atemwege doch bitte auf die Gabe von Antibiotika zu verzichten. Das haben wir in der Medizin des 21. Jahrhunderts nötig? Offensichtlich ja. Diese Kampagne hat jetzt auch Kanada erreicht, Werner Bartens von der Süddeutschen Zeitung hat dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht. Jetzt bleibt nur noch die Frage: wann fangen wir in Deutschland mit unserer “Choosing Wisely”- Kampagne an? “Weise verordnen”, das wäre doch was. 22.01.2014: Die Faszination der Zahl - 19.000 Todesfälle ... ... durch vermeidbare unerwünschte Ereignisse in deutschen Krankenhäusern, jedes Jahr. Bei der Vorstellung des neuen Krankenhausreports in Berlin wurden die Ergebnisse des Aktionsbündnisses Patientensicherheit aus dem Jahr 2008 aktualisiert. Damals hatten wir noch 17 Millionen Krankenhausfälle im Jahr, deswegen kam bei der Schätzung der Mortalität (0,1% aller Krankenhauspatienten) noch die Zahl 17.000 heraus. Das sind ungefähr so viel Todesfälle wie Anfang der 70er Jahre im Straßenverkehr, ein Anlass zur Hoffnung, denn da sind wir ja durch zahlreiche, ineinandergreifende Maßnahmen (vom Sicherheitsgurt bis zu ABS) auf eine Zahl um die 3.000 heruntergekommen. Das wär doch was - allerdings sollten wir im Gesundheitswesen nicht 40 Jahre dazu brauchen. Und dafür müssen wir nicht weggucken, und insbesondere die Meinungsführer, die sich jetzt wieder melden, und sagen, die Zahlen wären alles Übertreibungen, sollten sich an ihr wissenschaftliches Training aus Studium und Ausbildung erinnern. Die Zahlen basieren nämlich auf insgesamt 241 Studien aus der ganzen Welt, und die Zahl von 0,1% vermeidbare Todesfälle ist eine ausserordent konservative Schätzung. Wer jetzt sagt, die Analyse ist von 2008, dem sei gesagt, dass die Zahlen aus den neueren Studien weitaus, weitaus höher liegen. Also, nicht die Fakten verdrehen, sondern anfangen zu arbeiten, damit es besser wird. Und aufpassen mit den Worten: unerwünschte Ereignisse sind nach der epidemiologischen Nomenclatur für Patienten negative Ereignisse (also Schäden), vermeidbare unerwünschte Ereignisse solche, die auf einen Fehler, eine Regelverletzung, zurückgehen. Behandlungsfehler ist ein juristischer, kein epidemiologischer Begriff, da ist zusätzlich juristisch noch eine Sorgfaltsverletzung festgestellt worden (Studie 2008 auf der Webseite des APS, Aktualisierung i.R. des APS-Weißbuches Patientensicherheit hier).
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